Hott!

Ich teile Marino Baldis Meinung, wonach das Erheblichkeitsmerkmal eine Triage-Funktion – ist ein Fall prüfenswert oder nicht? – zu erfüllen hat. Dieses Merkmal soll der WEKO erlauben, Bagatellfälle auszusieben (vgl. dazu M. Baldi, Zweimal hü und zweimal hott beim Schweizer Kartellgericht, AJP 3/2016, S. 319).

Welche Fälle sind prüfenswert? Welche sind es nicht? Hier gehen die Meinungen von Marino Baldi und mir auseinander. Marino Baldi ist der Auffassung, dass eine Wettbewerbsabrede, die das Kartellgesetz für vermutungsweise unzulässig erklärt, grundsätzlich «erheblich» ist. Damit ist eine solche Abrede für Baldi auch prüfenswert und somit kein Bagatellfall.

Ist das wirklich der richtige Massstab?

Ich halte mich da lieber an die Botschaft zum KG95, welche erklärt, was Wettbewerbspolitik tun soll (BBl 1995 I 512): „Wettbewerbspolitik hat (hauptsächlich) sicherzustellen, dass die vom Wettbewerb allgemein erwarteten statischen und dynamischen Funktionen ausreichend erfüllt, das heisst nicht durch private Wettbewerbsbeschränkungen (und auch dysfunktionale staatliche Regulierungen) grundlegend beeinträchtigt werden. Wirksamer Wettbewerb soll m.a.W. die in einem Markt handelnden Unternehmen immer wieder zwingen oder doch anspornen, den Ressourceneinsatz zu optimieren, die Produkte und Produktionskapazitäten an die äusseren Bedingungen anzupassen sowie neue Produkte und Produktionsverfahren zu entwickeln. Sind diese zentralen Funktionen des Wettbewerbs auf einem bestimmten Markt nicht erheblich gestört, so kann der Wettbewerb als „wirksam“ bezeichnet werden.

Das leuchtet mir ein. Wenn der Wettbewerb die von ihm erwarteten Funktionen noch erfüllen kann, ist kein Platz für Interventionen der WEKO. Der Fall ist dann nicht prüfenswert – es ist nicht mal ein Bagatellfall, denn es gibt keine volkswirtschaftlich oder sozial schädlichen Auswirkungen von Kartellen oder anderen Wettbewerbsbeschränkungen (Art. 1 KG).

Daraus ergibt sich, dass bei der Erheblichkeitsprüfung zu analysieren ist, ob der Wettbewerb trotz Abrede diese Funktionen noch erfüllen kann.Es geht somit um die Intensität der Wettbewerbsbeschränkung (vgl. dazu auch die Botschaft zum KG95, BBl 1995 I 555). Nach unbestrittener ökonomischer Lehre und Praxis setzt eine Wettbewerbsbeschränkung, welche die Funktionen des Wettbewerbs stören kann, Marktmacht voraus. Also müsste eine Abrede, die den Wettbewerb erheblich beeinträchtigen kann, Marktmacht begründen oder verstärken.

Ob Marktmacht begründet oder verstärkt wird, wird anhand der verbleibenden Konkurrenz geprüft. Gibt es nach wie vor valable aktuelle und/oder potenzielle Konkurrenz, d.h. werden die Konsumenten zu nicht an der Abrede beteiligte Unternehmen ausweichen, falls die Abredebeteiligten versuchen würden, die Preise zu erhöhen oder die Qualität zu verschlechtern? Kann die Frage bejaht werden, wird der Wettbewerb trotz der Abrede seine Funktionen weiterhin zufriedenstellend erfüllen. Weshalb dieses Prüfungsraster nicht justiziabel sein soll und die Beurteilung der Abrede damit in Willkür ausartet- wie Baldi behauptet (S. 319) -, ist nicht nachvollziehbar. Willkürlich scheint da eher das von Baldi empfohlene Vorgehen, nämlich rasch und ohne Not zum Rätselraten darüber zu schreiten, ob eine Abrede tatsächlich effizient ist oder nicht (vgl. dazu hier).

3 Antworten zu „Hott!”.

  1. […] Ich hatte ja immer behauptet, dass eine Wettbewerbsabrede, die den Wettbewerb erheblich beeinträchtigt, Marktmacht voraussetzt. Das Bundesgericht hat dieser Meinung im Gaba-Urteil eine Absage erteilt. Dieses Urteil dürfte indes weniger weitreichende Folgen haben als allgemein angenommen, wenn nun bei der Frage, ob überhaupt eine Wettbewerbsabrede vorliegt, zu prüfen ist, ob die Abredebeteiligten über das notwendige Ausmass an Marktmacht verfügen, um Schaden im Sinne von Art. 1 KG verursachen zu können. […]

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