Gemäss Mediendokumentation des Seco zur Revision des Kartellgesetzes vom 16. November soll „die Unzulässigkeit der besonders schädlichen horizontalen und vertikalen Abreden nicht mehr an deren ökonomischen Wirkungen anknüpf[en], also ihrer wirtschaftlichen „Erheblichkeit“, sondern am Typ der Abrede.“
Hier scheint ein Missverständnis vorzuliegen. Im Kartellrecht ist nirgends von „wirtschaftlicher Erheblichkeit“ die Rede. Auch findet sich der Begriff der Erheblichkeit nirgends direkt im Zusammenhang mit ökonomischen Wirkungen und damit einem Zustand, sondern ausschliesslich im Zusammenhang mit einem Prozess, dem Wettbewerb.
Man ist sich einig, dass F. A. von Hayek den Wettbewerb zu Recht als Entdeckungsverfahren und damit als einen Prozess beschrieben hat. In diesem Prozess werden – durch die dem Prozess unterworfenen Unternehmen – bessere Produkte, neue Verfahren und Innovationen entdeckt. Zu schützen gilt es somit den Prozess, der alle diese Dinge hervorbringt.
Folgerichtig hat die Wettbewerbskommission heute zu prüfen (und nachzuweisen), ob dieser Prozess durch eine Wettbewerbsabrede tatsächlich in einem Ausmass gestört wird, dass er die von ihm erwarteten Resultate nicht mehr zu erbringen vermag. Mit den Worten des Kartellgesetzes: Unzulässig kann eine Wettbewerbsabrede nur dann sein, wenn sie den Wettbewerb zumindest erheblich beeinträchtigt. Tut sie dies nicht, funktioniert der Wettbewerb, d.h. das Entdeckungsverfahren, nach wie vor zufriedenstellend. Es gibt in diesem Fall keinen Grund und keine Berechtigung für einen Staatseingriff.
Der Bundesrat schlägt nun vor, die Wettbewerbskommission von dieser Aufgabe zu entlasten und fortan nicht mehr zu prüfen, ob das Entdeckungsverfahren Wettbewerb überhaupt beeinträchtigt ist. Das wäre richtig, wenn der Wettbewerb bei bestimmten Abredearten immer in so grossem Ausmass beeinträchtigt wäre, dass sein gutes Funktionieren verunmöglicht würde.
Bei harten Kartellen, also bei Abreden zwischen Wettbewerbern über Preise oder Mengen, Gebiets- oder Kundenaufteilungen, könnte dies tatsächlich so sein. In vielen Fällen, insbesondere wenn sich kleinere Unternehmen zusammentun, um gegen grössere bestehen zu können, ist dies jedoch nicht gegeben.
Bei vertikalen Vereinbarungen wie Preisbindungen und Gebietsexklusivitäten gibt es weder theoretische noch empirische Erkenntnisse, wonach der Wettbewerb regelmässig erheblich beschränkt würde (vgl. die Hinweise in Peters Beitrag sowie hier, hier, hier und hier).
Bereits aus diesen Gründen darf nicht auf die Erheblichkeitsprüfung verzichtet werden.
Der Bundesrat möchte den Unternehmen nach wie vor die Möglichkeit geben, die fraglichen Wettbewerbsabreden aus Gründen der wirtschaftlichen Effizienz zu rechtfertigen. Diese Effizienzgründe müssten von den Unternehmen bewiesen werden, denn die Unternehmen selber müssten am besten wissen, weshalb ihre Abrede effizient sei (so im Erläuternden Bericht zum Teilkartellverbot vom 23. September, S. 7).
Wie realitätsfern diese Auffassung ist, kann am Beispiel „Nespresso“ gezeigt werden. Nespresso enttäuschte zu Beginn die Absatzerwartungen gewaltig. Das Vertriebskonzept hatte sich nicht bewährt und musste geändert werden. Nestlé war indes mit Sicherheit vom Gelingen ihres Vertriebskonzepts überzeugt und hätte deshalb auch einer Wettbewerbsbehörde vorgetragen, dieses sei effizient. Hätte die Wettbewerbsbehörde Nestlé den anfänglichen Misserfolg des Konzepts voraussagen können? Mitnichten. Wie soll eine Behörde in der Lage sein, die Effizienz eines Vorhabens einzuschätzen, wenn an dieser Aufgabe offenbar auch Grossunternehmen scheitern, welche ihr Produkt genau kennen und das Vertriebskonzept in grossangelegten Marktanalysen ausgetüftelt haben?
Erst auf dem Markt und im Wettbewerb erweist sich, ob ein Vorhaben tatsächlich Effizienzvorteile und damit Erfolg hat. Im Voraus kann darüber kein Nachweis geführt werden. Auch im Nachhinein gelingt das kaum, denn wer weiss, wie die Verhältnisse wären, wenn die Wettbewerbsabreden nicht oder in anderer Form existieren würden (Frage nach dem so genannten „counterfactual“)?
Aus diesen Gründen ist es ungemein wichtig, dass dieses Ratespiel nur dann stattfindet, wenn es nicht zu vermeiden ist. Vermieden werden kann es immer dann, wenn der Wettbewerbsprozess zufriedenstellend funktioniert. Deshalb muss unbedingt geprüft werden, ob der Wettbewerb durch eine Abrede überhaupt erheblich beeinträchtigt wird.
Wenn denn Mutmassungen über die Effizienzvorteile einer Wettbewerbsabrede angestellt werden müssen, so müsste es den Wettbewerbsbehörden obliegen den Nachweis zu erbringen, dass das, was die Unternehmen als Effizienzvorteile geltend machen, nicht den Tatsachen entsprechen kann. Kann sie dies nicht, ist die Abrede als effizient zu akzeptieren.