Regulierungen und deren Vollzug sollen strukturneutral sein. Zur Sanktionierung der VW-Konzessionäre

Gemäss Artikel 46 KG prüft das WEKO-Sekretariat Entwürfe von Bundeserlassen (Gesetze und Verordnungen) auf Wettbewerbsverfälschungen und Wettbewerbsbeschränkungen hin. Die WEKO tut dasselbe im Rahmen von Vernehmlassungsverfahren.

Ein wichtiges Prinzip, welches gemäss WEKO beim Erlass von Regulierungen zu beachten ist, ist die so genannte Strukturneutralität. Sie besagt, dass eine Regulierung zu keiner einseitigen Benachteiligung oder Begünstigung von Strukturen führen soll (vgl. z.B. in RPW 2004/4, S. 1164).

Dieses Prinzip gilt es selbstverständlich nicht nur beim Erlass von Regulierungen zu wahren, sondern auch beim Vollzug dieser Regulierungen.

Im Kartellrecht ist dieses Prinzip nicht besonders gut umgesetzt. So sind z.B. die Eingreifschwellen bei Zusammenschlüssen höher als bei Wettbewerbsabreden, also Unternehmenskooperationen, obwohl beides Zusammenarbeitsformen sind. Die eine – der Zusammenschluss – ist sehr eng und kaum mehr aufzulösen; die andere – die Wettbewerbsabrede – ist weniger eng und kann jederzeit aufgelöst werden. Wettbewerbsabreden sind somit weniger stabil als Zusammenschlüsse. Sie werden vom Kartellgesetz aber härter angepackt. Eingriffe sind hier bereits möglich, wenn eine Abrede eine erhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung bewirkt (Art. 5 Abs. 1 KG) – gemäss WEKO-Praxis keine wirkliche Hürde (vgl. z.B. hier und hier), insbesondere wenn mit der Kooperation Preis- und Mengenabreden einhergehen. Im Fall von Zusammenschlüssen, welche immer mit Preis- und Mengenvereinbarungen verbunden sind, denn im Konzern stimmt man sich natürlich ab, kann die WEKO erst eingreifen, wenn der Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt und wenn dadurch der wirksame Wettbewerb beseitigt werden kann (Art. 10 Abs. 2 Bst. a KG). Falls nicht wirklich gute Gründe für eine eher lockere Kooperation sprechen, wählen Unternehmen somit mit Vorteil die Zusammenschlussform, da hier die kartellrechtlichen Hürden einfacher zu überwinden sind. Das Kartellrecht ist somit nicht strukturneutral. Es könnten noch weitere Beispiele für diesen Makel angeführt werden (z.B. die unterschiedliche Behandlung verschiedener Formen veritkaler Abreden).

Am 19. Oktober 2015 hat die WEKO vier Konzessionäre der Marken des VW-Konzerns wegen Preisabreden, genauer: wegen gemeinsamer Konditionenliste betreffend Preisnachlässe und Ablieferpauschalen, mit Sanktionen zwischen CHF 10’000 und 320’000 belegt. Gemäss Pressemitteilung handelt es sich dabei um horizontale Preisabreden, die volkswirtschaftlich besonders schädlich sind.

Sicherlich korrekt ist, dass die VW-Konzessionäre miteinander im Wettbewerb stehen. Insofern kann von einer horizontalen Wettbewerbsabrede ausgegangen werden. Hätte sich der VW-Konzern indes entschieden, den Verkauf seiner Autos als Konzernfunktion auszugestalten, also den Autoverkauf nicht an unabhängige Händler auszulagen, wäre eine solche Rabatt- und Ablieferungspauschalenkoordination völlig unproblematisch. Innerhalb eines Konzern besteht ja eine Weisungsbefungnis an die Konzerngesellschaften.

Der Vollzug der kartellrechtlichen Bestimmungen ist im vorliegenden Fall also alles andere als strukturneutral.Für Dinge, welche im Rahmen eines Konzernverbunds selbstverständlich und auch kartellrechtlich unbedenklich sind, wird man, wenn als Kooperation ausgestaltet, gebüsst.

Der Entscheid der WEKO hätte nicht so ausfällen müssen. Sie hätte die Wettbewerbsabrede als unerheblich oder zumindest als durch Effizienzgründe gerechtfertigt taxieren sollen. Es ist hier somit der Vollzug, nicht das Gesetz, welcher nicht strukturneutral ist.

Gerade im Automobilvertrieb könnten Effizienzgründe für solche Abreden vorliegen. Die Verkaufsberatung ist aufwendig; man muss sich Mühe geben, denn die Konkurrenz ist gross. Die Verlockung als Kunde, sich bei einem Händler beraten zu lassen und bei anderen Händlern danach nach günstigeren Angeboten Ausschau zu halten, ist auch gross. Wenn nun nicht jener, der berät und die Kosten dafür trägt, auch verkauft, weil andere Händler bessere Konditionen versprechen, dann wird Beratung zum Verlustgeschäft und verschwinden. Hier handelt es sich um die wohlbekannte Trittbrettfahrerproblematik.

Die Wettbewerbsabrede müsste freilich unerheblich sein; dies auch gemäss Vorgaben, welche die WEKO selbst bestimmt hat. In ihrem Bericht über KMU-Bekanntmachung und Bekanntmachung über Kalkulationshilfen (vgl. RPW 2008/1, S. 213 ff.) schreibt die WEKO in Rz. 11: „Insoweit sich eine Preisabrede in unerheblicher Weise auf den Markt auswirkt, ist sie zulässig … [W]enn sich z.B. 2 oder 3 Bäcker in einer grösseren Stadt hinsichtlich der Preise absprechen … liegt an sich eine Preisabsprache nach Art. 5 Abs. 3 Bst. a KG vor. Dennoch ist auch diese Abrede unerheblich, wenn es genügend andere Bäcker und/oder andere Grossverteiler (Migros, Coop etc.) gibt, welche ebenfalls Backwaren verkaufen, also auf demselben sachlich relevanten Markt tätig sind (Aussenwettbewerb).“ Wenn es also genügend Aussenwettbewerb gibt, ist die Sache unproblematisch. Da kann ich nur zustimmen.

Aussenwettbewerb gibt es im vorliegenden Fall zuhauf. Volvo, Toyota, Suzuki, Subaru, Ssangyong, Smart, Rover, Renault, Peugeot, Opel, Nissan und und und (hier die Liste). Für jeden Geschmack viel Auswahl. Wenn es im Automarkt keinen tobenden (Aussen)Wettbewerb gibt, dann nirgends! Das von der WEKO selbst als massgebend bezeichnete (und auch richtige) Kriterium ist im vorliegenden Fall mit Sicherheit erfüllt.

Der Entscheid der WEKO ist somit in mehrerer Hinsicht problematisch. Er ist nicht strukturneutral – eine Eigenschaft, auf welche die WEKO ansonsten zu Recht drängt – und er sanktioniert VW-Händler nach der hier vertretenden Auffassung zu Unrecht, indem – wieder einmal (z.B. hier und hier und hier) – der Interbrandwettbewerb unberücksichtigt bleibt.


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