fragen Marino Baldi und Felix Schraner im gleichnamigen Beitrag in der Aktuellen Juristischen Praxis 11/2015, ab Seite 1529. Im Zentrum des Aufsatzes steht wiederum die Interpretation des Begriffs der Erheblichkeit wie er in Art. 5 KG zu finden ist. Sie halten an ihrer Auffassung fest, wonach es sich beim Tatbestandselement der Erheblichkeit um eine Bagatellklausel handelt und die so genannte Effizienzprüfung im Fokus der wettbewerbsrechtlichen Analyse stehen muss.
Dass diese Auffassung unzutreffend ist und am allseits akzeptierten Verständnis des Wettbewerbs als einem Entdeckungsprozess vorbei geht, habe ich hier bereits belegt. Wird der Wettbewerb als Prozess verstanden, dessen Resultate in aller Regel begrüssenswert sind, aber von niemandem vorhergesagt werden können, dann muss im Zentrum der wettbewerbsrechtlichen Analyse die Frage stehen, ob dieser Prozess nach wie vor, d.h. auch mit der zu prüfenden Wettbewerbsabrede, funktionieren kann. Kann er nach wie vor funktionieren, d.h. ist er durch die Abrede nicht erheblich beeinträchtigt, dann darf nicht eingegriffen werden, ansonsten setzt sich die Behörde an die Stelle des Wettbewerbs. Genau an diese Stelle gehört gemäss Baldi und Schraner die Wettbewerbsbehörde aber, da sie mittels Effizienzprüfung die vorausichtlichen, aber eben gar nicht vorhersehbaren, Resultate der Abrede antizipieren soll.
Die Auffassung von Baldi und Schraner führt zu Behördeneingriffen auch in Situationen, in welchen tatsächlich kein Grund zum Eingreifen besteht (false positives, Regulierungsfehler 1. Ordnung), ganz einfach deshalb, weil auch eine Wettbewerbsbehörde die Resultate des Wettbewerbs nicht vorhersehen kann und den Sachverhalt folglich nicht wirklich versteht. „[I]f an economist finds something—a business practice of one sort or other—that he does not understand, he looks for a monopoly explanation. And as in this field we are very ignorant, the number of ununderstandable practices tends to be rather large, and the reliance on a monopoly explanation, frequent.“ (R. Coase, Industrial Organization: A Proposal for Research, 1972, S. 67).
In der kartellrechtlichen Zusammenschlusskontrolle werden nur Märkte einer eingehenden Analyse unterzogen, auf welchen die Zusammenschlussparteien gemeinsame Marktanteile von mindestens 20% erreichen. Liegen die Marktanteile unter dieser Schwelle, wird davon ausgegangen, dass der Zusammenschluss unbedenklich ist, sprich: dass der Wettbewerb auch nach dem Zusammenschluss funktionieren wird. Bei der Prüfung von Wettbewerbsabreden könnte per Analogie – eine Abrede ist gleich wie ein Zusammenschluss eine Kooperation – ohne Weiteres gelten, dass eine erhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung nur vorliegen kann, falls die an der Abrede beteiligten Unternehmen gemeinsame Marktanteile von mehr als 20% halten. Ein solches Verständnis des Tatbestandselement der Erheblichkeit würde die Rechtsanwendung erleichtern, die Rechtssicherheit stärken, weil für die Rechtsunterworfenen nachvollziehbar, einem Verständnis des Wettbewerbs als Entdeckungsprozess entsprechen und brächte uns mit Sicherheit ein bisschen weiter.