Gaba/Gebro (Elmex): Fehler programmiert

Kommentar von Daniel Emch und Markus Saurer in der NZZ vom 13. Juni 2016, S. 10. (Eine andere Meinung vertritt dort Walter Stoffel in seinem Kommentar „Ein Meilenstein“.)

Die Öffentlichkeit, die meisten Medien und viele Politiker erwarten von einer Verschärfung des Kartellrechts eine Intensivierung des Wettbewerbs. Selbst Skeptiker befürchten in der Regel keine spürbaren Schäden – «nützt es nichts, so schadet es nichts». Diese Panglosssche Sicht ist falsch. Wird eine Abrede verboten, die dem Wettbewerb nicht schadet, dann schadet dieses Verbot dem Wettbewerb.

Die Gefahr schädlicher Regulierungsfehler hat das Bundesgericht mit dem Urteil vom 28. Juni 2016 in Sachen Gaba/Gebro (Elmex) erhöht. Es hat dabei nicht nur seine bisherige Praxis umgestossen, sondern zudem eine Meinungsäusserung der Legislative missachtet. Mit diesem Entscheid wird das Kartellgesetz faktisch stärker verschärft, als es in der gescheiterten Gesetzesrevision am Schluss zur Debatte stand. Es ging um die Einführung eines Teilkartellverbots bezüglich horizontaler und vertikaler Preis-, Mengen- und Gebietsabreden, welches darauf abzielte, die Prüfung der Auswirkungen von solchen Abreden aus dem Gesetz zu streichen.

Der Nationalrat wollte nicht auf die Revision eintreten, weil ihm diese Verschärfung zu stark war und er befürchtete, dass bewährte Kooperationsformen von Unternehmen wie Einkaufs- oder Arbeitsgemeinschaften unnötig gefährdet würden. Entsprechend stellt sich die Frage, weshalb sich das Bundesgericht zwei Jahre nach der gescheiterten Kartellgesetzrevision berufen und kompetent sieht, ohne Not in den Widerspruch zum Gesetzgeber zu treten.

Materiell hat das Bundesgericht entschieden, dass horizontale und vertikale Preis-, Mengen- und Gebietsabreden ungeachtet ihrer tatsächlichen Auswirkungen auf dem relevanten Markt immer dann unzulässig sind, wenn die beteiligten Unternehmen nicht nachweisen können, dass die Abrede aus Gründen wirtschaftlicher Effizienz notwendig ist. Dieser Nachweis ist nicht leicht erbracht, da immer auch geprüft werden muss, ob den Unternehmen nicht auch mildere Mittel zur Verfügung gestanden wären, um dasselbe Ziel zu erreichen.

Der ökonomisch fundierte «quantitative» Nachweis gemäss bisheriger Praxis, nämlich dass die Abrede überhaupt eine Auswirkung auf den relevanten Wettbewerb hat, wurde mit diesem Urteil gestrichen. Selbst Verträge bzw. Abreden, welche nie umgesetzt wurden, müssen in der Logik des Bundesgerichts gebüsst werden.

Die Bundesrichter, welche den Entscheid zu verantworten haben, wollen der Wettbewerbskommission aber im Sinne des Opportunitätsprinzips die Möglichkeit zugestehen, Bagatellfälle gar nicht erst aufzugreifen. Diese Ausnahme dürfte aber nur für Abreden zwischen Kleinstgewerblern gelten. Würde ein solcher Fall trotzdem aufgegriffen oder würde er vor ein Zivilgericht gebracht, müsste er auch dann beurteilt werden, wenn die Auswirkungen gegen null tendierten.

Der Entscheid des Bundesgerichts sorgt für Rechtsunsicherheit: Unternehmen, die aufgrund ihrer geringen Marktanteile keine Kartellrechts-Compliance betrieben haben, müssen sich nun mit diesem Thema auseinandersetzen. Anders als es ein Bundesrichter in der öffentlichen Urteilsberatung behauptet hat, ist die Frage, welche Sachverhalte unter die Sanktionstatbestände des Kartellgesetzes fallen, alles andere als klar. Erfasst werden gemäss Praxis der Wettbewerbskommission nicht nur klare Preis-, Mengen- und Gebietskartelle, sondern unter gewissen Voraussetzungen beispielsweise auch Arbeits-, Einkaufs- oder Bietergemeinschaften, Empfehlungen von Unternehmen oder Berufsverbänden, Versicherungspools, Franchise-Systeme oder gar ein blosser Informationsaustausch. Der Grat zwischen zulässigem und unzulässigem Verhalten ist schmal. Das dürfte sich zwar belebend auf die Nachfrage bei Anwaltskanzleien, jedoch im Sinne eines «Chilling»-Effekts hemmend auf Unternehmen und ihre Geschäftspartner auswirken.

Das wichtigste Argument noch zum Schluss: Preis-, Mengen- und Gebietsabreden, ob horizontal oder vertikal, schaden dem Wettbewerb nicht in jedem Fall. Ganz im Gegenteil sind dies strategische Instrumente der Beteiligten, die den Wettbewerb in sehr vielen realistischen Fällen verstärken. Darum ist die Missbrauchspolitik der Verbotspolitik überlegen. Die USA und selbst die EU bewegen sich in Richtung Missbrauchspolitik. Elmex steht für einen Anachronismus, der korrigiert werden muss. Sonst erhöht sich die Häufigkeit schädlicher Eingriffe, und der Zweck des Kartellgesetzes wird konterkariert.

Daniel Emch ist Rechtsanwalt und Partner bei Kellerhals Carrard; Markus Saurer ist Ökonom und geschäftsführendes Vorstandsmitglied im Carnot-Cournot-Netzwerk für Politikberatung in Technik und Wirtschaft.

 

 


Kommentare

4 Antworten zu „Gaba/Gebro (Elmex): Fehler programmiert”.

  1. Avatar von Gaba/Gebro (Elmex): Fehler programmiert — Wettbewerbspolitik - Markus Saurer Industrieökonomie

    […] über Gaba/Gebro (Elmex): Feh­ler pro­gram­miert — Wett­be­werbs­po­li­tik […]

  2. Avatar von Sach Anke
    Sach Anke

    Ich bin mit dieser Kritik einverstanden. Die Frage sollte doch sein, ob es einen funktionierenden Wettbewerb auf dem Zahnpasta-Markt gibt bzw. ob durch diese Abrede eine Bedrohung entsteht. Angesichts des geringen Marktanteils dieser Marke scheint mir das Urteil auch übertrieben. Anders könnte die Sache bei grossen Marken, wie Coca-Cola etc. aussehen, bei denen auch die Bedrohung durch einen grenzüberschreitenden Einkauf (Internet oder physisch) wesentlich aufwendiger ist. Zudem sollte zudem berücksichtigt werden, inwieweit eine länderspezifische Preisdifferenzierung erforderlich ist, um die einheimische Produktion zu sichern. Denn man kann nicht beides haben: Swiss made und Tiefstpreis-Angebote.

    1. Avatar von Markus Saurer
      Markus Saurer

      Ja, der letzte Punkt ist absolut zentral: Unsere Exportindustrie – also besonders alle in der Schweiz domizilierten und produzierenden Markenartikelhersteller (das ist bei genauer Betrachtung fast die gesamte schweizerische Industrie) sind darauf angewiesen, ihre Preise global möglichst differenzieren zu können. Dies könnte durch den Elmex-Entscheid empfindlich gestört werden. Die Industrie muss jetzt vermehrt mit Parallel-Reimport rechnen. Arbitrageure könnten Schweizer Ware im preisgünstigeren Ausland erwerben und in die Schweiz und in viele andere Hochpreisländer verkaufen.

      Abgesehen davon bleibt es dabei, dass der Staat nicht in Märkte mit wirksamem Wettbewerb intervenieren darf. Wie kann dies die Weko nach dem Elmex-Urteil sicherstellen? Wie, ohne die Wirkungen von Abreden ökonomisch fundiert zu beurteilen? Das geht nicht! Bagatellen aufgrund einer vermutet geringen Wirkung aussondern zu wollen, widerspricht übrigens ironischerweise gerade dem Urteil, die Wirkung quantitativ gar nicht beurteilen zu müssen.

      Über die logischen Fähigkeiten der Mehrheit der Bundesrichter im Elmex-Fall sind berechtigte Sorgen angebracht!

      1. Avatar von Sach Anke
        Sach Anke

        In meinen Augen muss man bei Verdacht oder drohender Gefahr von Missbrauch in jedem Einzelfall den relevanten Markt definieren. Dieser kann manchmal auch sehr lokal sein, z. B. wenn es um lokale Handwerkeraktivitäten geht. Aber wichtig scheint mir das Verständnis der jeweiligen Marktkräfte zu sein. So muss vermutlich eine Dumping-Preis-Aktion des einzige lokalen Buchhändlers heute anders beurteilt werden als vor 15 Jahren, als der Internet-Verkauf noch keine grosse Rolle spielte.
        Dieses Urteil gegen Gaba/ Gebro, das meines Wissens auf einen Entscheid der Weko zurückgeht, kontrastiert auch mit dem Urteil der Weko zur Kooperation von SRG, Swisscom und Ringier, nach dem sich ein (zwangs-)gebührenfinanzierter Partner mit einem marktbeherrschenden Partner und einem privaten Anbieter problemlos zusammentun können.

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