Mit Urteil vom 19. September 2013 hat der Gerichtshof der Europäische Union die Auffassung der Europäischen Kommission geschützt, wonach „es der horizontale Wettbewerb auf den Primärmärkten unter bestimmten Voraussetzungen [erlaubt], die Sekundärmärkte zu disziplinieren und eine beherrschende Stellung auf diesen Märkten auszuschließen. Diese Disziplinierung ist nur dann möglich, wenn der Primär- und der Sekundärmarkt in einem engen Zusammenhang miteinander stehen, was von der Erfüllung von vier Voraussetzungen abhängt: Erstens kann der Verbraucher eine sachkundige Wahl auch in Bezug auf die Preise während der Lebensdauer der Zubehörteile treffen, zweitens ist es wahrscheinlich, dass der Verbraucher eine solche sachkundige Wahl beim Kauf trifft, drittens würde im Fall überhöhter Preise auf den Sekundärmärkten eine ausreichende Zahl von Verbrauchern ihre Kaufpraktiken auf dem Primärmarkt anpassen, und viertens würde diese Anpassung der Kaufpraktiken innerhalb einer angemessenen Frist erfolgen.“ (Randziffer 12 des Urteils).
Konkret in Randziffer 13 des Urteils: „Im vorliegenden Fall der Tintenstrahldrucker hat die Kommission in den Erwägungsgründen 23 und 25 der streitigen Entscheidung ausgeführt, auf dem Primärmarkt herrsche ein intensiver Wettbewerb, und es sei wenig wahrscheinlich, dass der Primär- und der Sekundärmarkt unter Berücksichtigung der vier erwähnten Voraussetzungen nicht eng miteinander verbunden seien. Die Kommission hat daraus geschlossen, dass die OEM keine beherrschende Stellung auf ihren jeweiligen Sekundärmärkten hätten.“
Das Urteil ist zu applaudieren. Jetzt müssten diese Kriterien bloss noch auf vertikale Wertschöpfungsketten generell und damit auch vertikale Vereinbarungen angewendet werden.
- „Primär- und Sekundärmarkt müssen in einem engen Zusammenhang miteinander stehen“: Die Herstellung eines Produkts und sein Vertrieb stehen bestimmt in einem engen Zusammenhang.
- „Erstens kann der Verbraucher eine sachkundige Wahl auch in Bezug auf die Preise während der Lebensdauer der Zubehörteile treffen“: Der Vertrieb gehört (ist Zubehör der) zur Herstellung. Er beeinflust das Kaufobjekt und den Kaufpreis unmittelbar.
- „Zweitens ist es wahrscheinlich, dass der Verbraucher eine solche sachkundige Wahl beim Kauf trifft“: Ein potenzieller Käufer lässt das beste Produkt links liegen, wenn die Verkaufsleistung schlecht und der Preis überhöht ist.
- „Drittens würde im Fall überhöhter Preise auf den Sekundärmärkten eine ausreichende Zahl von Verbrauchern ihre Kaufpraktiken auf dem Primärmarkt anpassen“: Belasten die Vertriebskosten den Endpreis des Produkts zu sehr, wird es gegenüber Konkurrenzprodukten unattraktiv. Die potenziellen Käufer würden somit die Konkurrenzprodukte erwerben.
- „Viertens würde diese Anpassung der Kaufpraktiken innerhalb einer angemessenen Frist erfolgen“: Der Wechsel zu den Konkurrenprodukten würde sofort erfolgen.
Weshalb die EU-Kommission die von ihr entwickelten Grundsätze bloss selektiv und nicht generell auf Wertschöpfungsketten anwendet, ist schleierhaft. Logisch wär’s doch nur ein kleiner Schritt…