„Antitrust policy cannot be made rational until we are able to give a firm answer to one question: What is the point of the law — what are its goals? Everything else follows from the answer we give…„
(Robert Bork, The Antitrust Paradox, 1978, S. 50)
In der Schweiz wurde die Debatte darüber, welchen Zweck das Kartellrecht genau verfolgt, nie wirklich diskutiert. Zwar steht dieser Zweck in der Bundesverfassung und im Zweckartikel des Kartellgesetzes – volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen sollen verhindert werden – , aber insbesondere über den Inhalt des Begriffs „sozial“ lässt sich lange und ergebnislos streiten (vgl. den Beitrag hier zum Wieselwort „sozial“).
In anderen Jurisdiktionen, insbesondere den USA, ist diese Diskussion heftig geführt worden. Da war man sich lange Zeit einig, dass es um die Konsumentenwohlfahrt gehen soll. Untechnisch gesprochen sollen die Konsumentinnen und Konsumenten vom Wettbewerb profitieren, weil man sich von diesem tiefere Preise, bessere Produkte und mehr Innovationen verspricht. Auch die EU ging in diese Richtung (vgl. z.B. hier).
Mehr und mehr tauchen aber neuen Wieselworte auf, insbesondere das Wort „fair“. Demnach hat der Wettbewerb fair zu sein, was nicht zwingend deckungsgleich mit einer höheren Konsumentenwohlfahrt ist. Dasselbe gilt, wenn nun der Wettbewerbsprozess an und für sich geschützt werden soll (vgl. z.B. hier).
Ursache dieser Bewegung sind die überaus starken, auf eigener Leistung beruhenden Marktpositionen von Google, Facebook, Apple, Amazon und Microsoft. Dass diese Unternehmen ungemein zur Konsumentenwohlfahrt beigetragen haben, mag niemand bezweifeln. Gestützt auf wissenschaftliche Arbeiten schätzt die NZZ diesen Wert auf über eine Billion Dollar pro Jahr.
Solch starke und schwer angreifbare Marktstellungen ängstigen freilich. Negative Wirkungen auf die Konsumentenwohlfahrt mag man diesen Unternehmen indes nicht vorwerfen. Deshalb sollen sie sich zumindest „fair“ verhalten. Die EU will eine Liste mit Geboten und Verboten schaffen, also regulierend eingreifen: „Das Ziel dieses Vorschlags liegt daher darin, die markantesten Fälle von unlauteren Praktiken und geringer Bestreitbarkeit auf EU-Ebene anzugehen, damit Plattformen ihr Potenzial voll entfalten können und sowohl Endnutzer als auch gewerbliche Nutzer die Vorteile der Plattformwirtschaft und der digitalen Wirtschaft in einem bestreitbaren und fairen Wettbewerbsumfeld nutzen können.“ (Vorschlag für […] ein Gesetz für digitale Märkte, S. 4).
Inwieweit diese Praktiken tatsächlich unlauter (wettbewerbswidrig?) sind, dazu gibt es keinen höchstrichterlichen Entscheid. Es handelt sich eh um blosse Behauptungen (oder sogar Anmassungen: Durch Regulierung sollen die Plattformen ihr Potenzial voll entfalten und die Vorteile an die Nutzer weitergeben können?) Ist es fair oder unfair, Dritten zu regulatorisch überprüften Konditionen Zugang zur Plattform von Amazon zu gewähren? Sind die Konditionen von Apple, die sie für App-Lieferanten verlangt, fair oder unfair?
Mit Wieselworten lässt sich alles, also nichts, begründen. Aber sie klingen vordergründig gut und vernünftig. Zu legitimieren vermögen sie indes nichts.