Kontraproduktive Handhabung des Widerspruchsverfahrens

Diese Mitteilung der Schweizer Erdgas-Wirtschaft gibt Anlass, um wieder mal auf die problematische Handhabung des Widerspruchsverfahrens nach Artikel 49a Absatz 3 lit. a KG aufmerksam zu machen (vgl. auch hier und hier). Gemäss Pressemitteilung hat die Wettbewerbskommission auf Initiative der Gaswirtschaft eine Verbändevereinbarung über den Netzzugang für Dritte geprüft und die Vorabklärung abgeschlossen ohne eine Untersuchung einzuleiten. Gleichzeitig behält sich die Weko aber vor, Einzelfälle auf allenfalls diskriminierende Wirkung zu überprüfen. Damit hat die Weko die von der Gaswirtschaft erhoffte Rechtssicherheit nicht geschaffen, da weiterhin ein Sanktionsrisiko besteht.

Aus der Pressemitteilung geht nicht hervor, ob tatsächlich eine Meldung nach Art. 49a KG eingereicht wurde. Das Verhalten der Weko erinnert allerdings stark an das Muster, welches die Unternehmen jeweils nach Einreichen solcher Meldungen beobachten können.

Laut Artikel 49 Absatz 3 lit. a KG erlischt das Sanktionsrisiko, wenn ein Unternehmen ein Vorhaben meldet, bevor dieses Wirkung entfaltet, und wenn dem Unternehmen nicht innert fünf Monaten nach der Meldung die Eröffnung eines Verfahrens (Vorabklärung oder Untersuchung) mitgeteilt wird. Gemäss Revisionsvorlage soll diese Widerspruchsfrist von fünf auf zwei Monate verkürzt werden. Zudem soll die Sanktionsdrohung nur bestehen bleiben, wenn nach Ablauf der Frist gleich eine Untersuchung eröffnet wird oder erst eine Vorabklärung und später eine Untersuchung eröffnet wird. An der Untauglichkeit des Meldeverfahrens wird sich dadurch freilich nichts ändern, falls die Weko nicht auch ihre Praxis ändert.

Ist man sich sicher, dass ein Vorhaben kartellrechtlich zulässig oder unzulässig ist, macht eine Meldung nach Art. 49a KG wenig Sinn. Im ersten Fall kann man sich die Kosten der Meldung sparen, im zweiten Fall unterlässt man das Vorhaben besser. Also kommen aus Unternehmersicht Meldungen grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die kartellrechtliche Qualifikation eines Vorhabens unklar ist. Nun verhält es sich so, dass diese Unklarheit nicht nur auf Seiten der Unternehmen besteht, sondern erfahrungsgemäss ebenso auf Seiten der Behörde, insbesondere weil das Vorhaben ja noch keine Wirkung entfalten hat – es darf auf dem Markt noch nicht eingeführt sein, ansonsten ist eine Meldung nicht möglich – und eine kartellrechtliche Einschätzung deshalb schwer fällt. Ist sich die Wettbewerbskommission ihrer Sache nicht sicher, eröffnet sie praxisgemäss eine Vorabklärung. Damit bliebt das Sanktionsrisiko für das Unternehmen bestehen.

Fazit: Meldet ein Unternehmen ein Vorhaben nicht, besteht ein Sanktionsrisiko. Meldet ein Unternehmen ein Vorhaben, eröffnet die Wettbewerbskommission ein Verfahren, weil sie den Sachverhalt ebenso wenig wie das Unternehmen einschätzen kann. In der Praxis bleibt ein Sanktionsrisiko somit mit oder ohne Meldung bestehen. Also verursacht die Meldung eines Vorhabens bloss Kosten. 

Die Meldemöglichkeit in Artikel 49a KG ist indes nicht nur sinnvoll, sondern aus Rechtssicherheitsgründen sogar geboten. Sie ist notwendiges Korrektiv zur Unbestimmtheit der materiellen KG-Bestimmungen, denn ohne klares Gesetz keine Sanktionierung (nulla poena sine lege certa; vgl. dazu die Botschaft über die Änderung des Kartellgesetzes vom 7. November 2001, Seite 2035f.). So ist denn auch nicht die Bestimmung problematisch, sondern erst deren Handhabung durch die Behörde. Die Weko hätte es in der Hand, aus einer heute bloss kostenverursachenden Bestimmung ein nutzenstiftendes Instrument zu machen. Dazu müsste sie bloss auf die Eröffnung eines Verfahrens verzichten, wenn sie sich über die kartellrechtliche Qualifikation eines Vorhabens nicht gänzlich im Klaren ist. Erstens sollen Sanktionsdrohungen primär abschreckende Wirkung entfalten, also Unzulässiges von Vorneherein verhindern (vgl. erwähnte Botschaft). Ist indes unklar, ob tatsächlich etwas Unzulässiges vorliegt, gibt es nichts von Vorneherein zu verhindern. Und stellt sich zweitens später heraus, dass doch etwas Unzulässiges geschieht, kann die Weko nach wie vor eingreifen. Das Androhen von Sanktionen ist im beschriebenen Szenario somit nicht nur unnötig, sondern auch kontraproduktiv.

Das Parlament sollte auf die ursprünglich vom Bundesrat ins Auge gefasste Lösung zurückkommen. Wird ein Vorhaben der Weko gemeldet, bevor es umgesetzt wird, sollte eine spätere Sanktion nicht mehr möglich sein (vgl. die erwähnte Botschaft, S. 2059). Die Befürchtung, wonach eine solche Regelung missbraucht werden könnte, ist nicht gerechtfertigt. Zum einen kann die Behörde klare Kartellrechtsverstösse mittels vorsorglicher Massnahmen rasch unterbinden. Zum anderen werden Unternehmen alleine aus Reputationsgründen nicht während Jahren klare Kartellrechtsverstösse begehen. Die Einwände gegen die vorgeschlagene Lösung sind – wie Regula Christeler hier und hier überzeugend dargelegt hat – nicht stichhaltig.


Kommentare

Eine Antwort zu „Kontraproduktive Handhabung des Widerspruchsverfahrens”.

  1. Avatar von Ein Verfahren aus dem Elfenbeinturm: lose – lose anstatt win – win | Wettbewerbspolitik

    […] reale Wirtschaft interessiert offensichtlich wenig. Das kann (wieder und wieder und wieder) am Widerspruchsverfahren in Artikel 49a Absatz 3 Bst. a KG gezeigt werden. […]

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