Eilmeldung: Bundesverwaltungsgericht führt im Elmex-Entscheid das vom Bundesrat vorgeschlagene Teilkartellverbot auf dem Rechtsprechungsweg ein

Aus den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes, (Urteil B-506/2010 vom 19. Dezember 2013; Erw. 11.1.8 und 11.3.4):

Wenn nämlich das Kartellgesetz selbst in Art. 5 Abs. 4 KG statuiert, dass solche Verbote vermutungsweise den Wettbewerb beseitigen, so ist a maiore ad minus grundsätzlich auch deren qualitative Erheblichkeit zu bejahen, unabhängig von allfälligen quantitativen Kriterien (). Dies entspricht im Übrigen auch der Rechtslage in der Europäischen Union, wo Passivverkaufsverbote grundsätzlich als Kernbeschränkung qualifiziert werden, und es wurde auch in die VertBek 07 sowie die VertBek 10 aufgenommen (vgl. Art. 4 Bst. b Vertikal-GVO 2000; Art. 4 Bst. b Vertikal-GVO 2010; Ziff. 11 de-minimis-Bekanntmachung; Ziff. 12 Bst, b VertBek 07; Ziff. 12 Abs. 2 Bst. b VertBek 10; siehe auch VINCENT MARTE-NET/ANDREAS HEINEMANN, Droit de la concurrence, Genf/Zürich/Basel 2012, S. 92).“

„Solche Verbote werden bereits von ihrer Natur her als qualitativ erhebliche Abreden angesehen, ohne dass das quantitative Kriterium (die Marktanteilsschwellen) zu beachten wären. Eine Rechtfertigung von solchen Abreden ist in der EU nur noch aus den in Rn. 106 ff. der Leitlinien der Kommission für vertikale Beschränkungen genannten Effizienzgründen möglich. Da der Schweizer Gesetzgeber in Art. 5 Abs. 4 KG statuiert, dass Gebietsabreden den Wettbewerb vermutungsweise beseitigen, ist wie bereits ausgeführt a maiore ad minus auch bei einer Abrede wie der vorliegenden eine erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs gegeben, unabhängig von allfälligen Marktanteilen. Allerdings ist diese Abrede dadurch nicht per se verboten. Eine Rechtfertigung ist noch immer aus den in Art. 5 Abs. 2 KG genannten Gründen möglich. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass selbst Wettbewerbsabreden, die auf den ersten Blick als erheblich beschränkend erscheinen, in Wirklichkeit die wirtschaftliche Effizienz erhöhen können.“

Kommentar:

Das Bundesverwaltungsgericht führt im Gaba/Gebro-Entscheid aus, dass Passivverkaufsverbote qualitativ erheblich seien, da sie unter den Vermutungstatbestand von Art. 5 Abs. 4 KG fallen würden. Bei der Prüfung der quantitativen Erheblichkeit wird auf diese Ausführungen zurückverwiesen. Da der Gesetzgeber eine Vermutung aufgestellt habe, dass solche Abreden den Wettbewerb beseitigen, sei „a maiore ad minus“ die Frage nach den Marktanteilen (bzw. die Frage nach der quantitativen Erheblichkeit) obsolet. Es bleibe einzig die Effizienzrechtfertigung. Im Ergebnis geht das Bundesverwaltungsgericht damit von einer per se-Erheblichkeit aus. Die sog. Erheblichkeitsprüfung, wie sie vom Gesetzgeber sowohl bei horizontalen als auch bei vertikalen Abreden grundsätzlich vorgesehen ist, wird bei Abreden, die unter einen Vermutungstatbestand fallen, gemäss den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts überflüssig (dies im Gegensatz zur Rechtsprechung des BGer im Bücherfall, vgl. BGE 129 II 18, Erw. 5.2.2). Damit sollen auch Abreden verboten und sanktioniert, die auf dem Markt keine bzw. zumindest keine schädlichen Auswirkungen haben. 

Genau diesen Rechtszustand will der Bundesrat und auch der Ständerat mit dem sog. „Teilkartellverbot mit Rechfertigungsmöglichkeit“ verwirklichen. Gemäss dem Verständnis des Bundesrates, des SECO und des Ständerates ist hierfür eine Gesetzesrevision notwendig. Jemand muss sich also irren: Entweder der Gesetzgeber (Bundesrat, SECO und Ständerat) oder das Bundesverwaltungsgericht.


Kommentare

Eine Antwort zu „Eilmeldung: Bundesverwaltungsgericht führt im Elmex-Entscheid das vom Bundesrat vorgeschlagene Teilkartellverbot auf dem Rechtsprechungsweg ein”.

  1. Avatar von Markus Saurer
    Markus Saurer

    Wenn das Kartellgesetz in Art. 5 Abs. 4 KG statuiert, dass solche Verbote vermutungsweise den Wettbewerb beseitigen, so sei a maiore ad minus grundsätzlich auch deren qualitative Erheblichkeit zu bejahen, unabhängig von allfälligen quantitativen Kriterien.

    Bei allen sog. Vermutungstatbeständen (Art. 5 Abs. 3 und Abs. 4) muss die Weko nach aktuellem Recht und bisheriger Praxis nachweisen, dass die Vermutung tatsächlich zutrifft oder – wie man sagt – nicht „umgestossen“ werden kann. Kann dieser Nachweis nicht erbracht werden, dann ist anzunehmen, dass der Wettbewerb nicht beseitigt wird. Diesfalls ist weiter zu prüfen, ob ggf. eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegt. Es sollte jedem Theoretiker und jedem Praktiker – seien es Juristen oder Ökonomen – klar sein, dass für den Nachweis der Gültigkeit der Vermutung (Beseitigung des Wettbewerbs) wie auch der Prüfung der Erheblichkeit (falls die Vermutung „umzustossen“ ist) insbesondere quantitative Kriterien relevant sind. (Was denn sonst, wenn ja die qualitativen Kriterien bereits stipuliert sind?)

    Mit anderen Worten ist es möglich, dass ein Vermutungstatbestand vorliegt, der aber unter den konkreten Umständen den wirksamen Wettbewerb weder beseitigt noch erheblich beeinträchtigt. Dieser Tatbestand darf im Lichte von Verfassung und Zweckartikel des KG nicht als unzulässig beurteilt werden.

    Dass eine Abrede, welche „vermutungsweise den Wettbewerb beseitigen könnte“, den Wettbewerb ebenso „vermutungsweise“ erheblich beeinträchtigen könnte, ist eine mathematisch-logische Binsenwahrheit, aus der ohne echte (quantitative) Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse überhaupt nichts gefolgert werden kann. Dies wird sofort klar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass alle Abreden, die den Wettbewerb beseitigen könnten, eine Teilmenge aller Abreden darstellen müssen, die den Wettbewerb erheblich beeinträchtigen könnten. Egal, wie Beseitigung oder Beeinträchtigung definiert werden: die Beseitigung ist jedenfalls eine erhebliche Beeinträchtigung. Hingegen ist nicht jede erhebliche Beeinträchtigung auch eine Beseitigung.

    Damit kommt man nicht um das Fazit herum, dass die eingangs zitierte Folgerung des BVGer nicht nur unzulässig, sondern sogar absolut nichtssagend bzw. nonsense ist. Noch ist das KG nicht im Sinne eines Teilkartellverbots revidiert und bis dato wollte der Gesetzgeber ganz klar nur effektiv schädliche Abreden verbieten und büssen. Und es gibt Anzeichen, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird. Hoffen wir es!

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