Wichtigste Punkte im Abkommen
Die EU und die Schweiz werden im Bereich des Kartellrechts zukünftig offiziell Informationen austauschen dürfen. Am 17. Mai 2013 haben sie das Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihrer Wettbewerbsrechte unterzeichnet. Dieses muss durch die Parlamente noch abgesegnet werden. Das Geschäft wird heute durch die vorberatende Kommission des Nationalrates (WAK N) behandelt. Es ist davon auszugehen, dass die Parlamente dem Abkommen zustimmen werden. Nach Ratifikation wird es innerhalb von zwei Monaten (voraussichtlich im Verlaufe des Jahres 2014) in Kraft treten. Das Abkommen wird es den Kartellbehörden beider Parteien ermöglichen, erlangte Informationen auszutauschen, ohne dass die betroffenen Verfahrensparteien ihr Einverständnis dazu geben müssen. Bisher war ein Informationsaustausch nur mit Zustimmung der betroffenen Unternehmen (auf der Basis eines sog. «Waivers») möglich.
Abgesehen vom Spezialregime im Bereich des Luftverkehrs, verfügen die Schweiz und die EU bislang über kein spezifisches Abkommen über die Zusammenarbeit im Bereich des Wettbewerbsrechts. Bisher erfolgte der Informationsaustausch bloss informell, meist auf der Basis von persönlichen Beziehungen zwischen Mitarbeitern des Sekretariats und Mitarbeitern der Generaldirektion Wettbewerb. Die Wirksamkeit dieser informellen Zusammenarbeit ist dabei stark begrenzt, namentlich weil der Austausch von vertraulichen Informationen, die eine Behörde im Verlauf eines Verfahrens erlangte, nicht zulässig wäre und die Behörden ihre Kompetenzen in der Praxis oft überschritten haben dürften. Solche Informationen sind sowohl nach dem Schweizer Recht als auch nach dem Recht der EU durch Bestimmungen zum Amts- und zum Geschäftsgeheimnis und anderen Gesetzen (bspw. Bankgeheimnis) geschützt. Das neue Abkommen, welches als sog. «second generation»- Abkommen bezeichnet wird, soll explizit den Austausch von vertraulichen Informationen ohne Zustimmung der Parteien und meist wohl auch ohne vorgängige Kenntnis der Parteien ermöglichen.
Die mündliche Erörterung von an sich dem Amtsgeheimnis unterliegenden Tatsachen im Rahmen von informellen Kontakten zwischen den Mitarbeitenden der beiden Behörden soll jederzeit und formlos möglich sein und sich auch auf im Untersuchungsverfahren erlangte Informationen beziehen dürfen. Die Übermittlung von Dokumenten und schriftlichen Informationen ist an strengere Voraussetzungen gebunden.
Liegt kein Waiver (also Zustimmung) vor, dürfen Dokumente und Informationen nur auf ein formelles Gesuch hin übermittelt werden. Ausserdem müssen beide Behörden zur Zeit des Informationsaustausches ein formelles Untersuchungsverfahren zum betreffenden Sachverhalt führen. In der Schweiz genügt aber bereits eine informelle Vorabklärung, bei der die betroffenen Unternehmen insbes. kein Recht auf Akteneinsicht haben! Das Gesuch muss schriftlich erfolgen und das genaue Verfahren, den untersuchten Sachverhalt, die allenfalls verletzte Gesetzesbestimmung sowie die beteiligten Unternehmen nennen.
Dokumente und Informationen, die eine Behörde in einer Bonusmeldung oder in Verhandlungen über eine einvernehmliche Regelung erhalten hat, dürfen nicht übermittelt werden, es sei denn, das betreffende Unternehmen stimme dem ausdrücklich zu.
Die EU-Kommission darf unter gewissen Voraussetzungen die von der Schweizer Behörde erlangten Informationen an die Behörden der EU-Mitgliedstaaten weiterleiten.
Rechtsstaatliche Bedenken
Das Abkommen weckt in vielerlei Hinsicht erhebliche rechtsstaatliche Bedenken. So fehlen beispielsweise Regelungen zum Datenschutz. Unklar ist bspw., ob dem Bankgeheimnis unterliegende Informationen nur dann übermittelt werden dürfen, wenn beide Behörden ein Verfahren führen. Ferner dürfte der Schutz von Geschäftsgeheimnissen leiden, wenn künftig vertrauliche Informationen ohne weiteres über die Landesgrenze hinaus von einer Kartellbehörde zur anderen weitergereicht werden dürfen. Umso mehr als geplante Übermittlungen von Dokumenten und Informationen den betroffenen Unternehmen in der Regel nicht vorgängig zur Kenntnis gebracht werden dürften.
Weiter sieht das Abkommen weder Rechtsschutzmöglichkeiten gegen unzulässige Übermittlungen von Dokumenten und Informationen vor, noch regelt es die Verwertbarkeit von in unzulässiger Art und Weise erhaltenen Informationen oder der Früchte von solchen Informationen (z.B. von Dokumenten die anlässlich einer unzulässigerweise durchgeführten Hausdurchsuchung sichergestellt wurden; sog. «fruits of the poisonous tree»).
Frau Barandun vom Tages Anzeiger wurde in diesem Blog ja bereits kritisiert. Der heutige Artikel von ihr und Stefan Schürer liegt hingegen richtig.