Der Bundesrat hat die Gesetzesrevision vorgestern gestartet. Der Gewerbeverband und economiesuisse haben bereits mit ersten Medienmitteilungen reagiert. Ersterer erachtet den Vorschlag des Bundesrats als eine inakzeptable Missachtung des Willens des Gesetzgebers. Letzterer fordert eine umfassendere Gesetzesrevision, insbesondere eine Institutionenreform. Keine Begeisterung, somit.
Ich bin auch nicht begeistert. Zum einen erachte ich die Hauptanliegen des Bundesrates – Senkung der Eingreifschwellen bei der Zusammenschlusskontrolle, Stärkung des Kartellzivilrechts und „Verbesserung“ des Widerspruchverfahrens – wie hier und in anderen Beiträgen beschrieben als nicht wirklich dringlich, teilweise sogar als untauglich. Zum anderen werden berechtigte Anliegen des Parlaments nur widerwillig umgesetzt und mit unhaltbaren Argumenten zur Ablehnung empfohlen.
Neu soll ein Zusammenschluss untersagt werden können, wenn er den wirksamen Wettbewerb signifikant behindert (Art. 10 Abs. 2 Bst. a VE-KG). Immerhin wurde „signifikant“ gewählt und nicht „erheblich“, da letzterer Begriff bereits bei der Beurteilung von Wettbewerbsabreden zur Anwendung gelangt und vom Bundesgericht seiner Bedeutung beraubt wurde. Was „signifikant“ genau heisst, wird die Praxis zeigen müssen. Zwar verweist der Erläuternde Bericht auf die EU-Praxis, dennoch eröffnet die Änderung der WEKO einen grossen Ermessensspielraum und führt damit zu Rechtsunsicherheit.*
Solche Rechtsunsicherheit sei es, welche die Umsetzung der Motion Français als nicht ratsam erscheinen liesse. Diese von den Räten überwiesene Motion will, dass die tatsächlichen Auswirkungen und nicht die blosse Form einer Wettbewerbsabrede über deren (Un)Zulässigkeit entscheiden. Deshalb müsse auch anhand quantitativer Kriterien geprüft werden, ob eine Wettbewerbsabrede tatsächlich eine „erhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung“ verursache.
Von solchen tatsächlichen Auswirkungen will der Bundesrat indessen nichts wissen, denn eine quantitativ geringfügige Beeinträchtigung des Wettbewerbs könne wegen qualitativ schwerwiegender Beeinträchtigung dieses Wettbewerbs immer noch erheblich sein (vgl. S. 19 im Erläuternden Bericht). Mit diesem „Gstürm“, das im Übrigen die unübersichtliche Praxis der WEKO vor dem erwähnten Bundesgerichtsentscheid wiedergibt und offenbar wiederbeleben will, schafft der Bundesrat die Rechtsunsicherheit, die er gleichzeitig beklagt, gleich selbst.
Ohne Marktmacht keine Wettbewerbsbeschränkung. Soviel darf vorausgesetzt werden und als allgemein anerkannt gelten. Deshalb muss ein Begriff, der die tatsächlichen Auswirkungen einer Abrede beinhalten soll, letztlich an Marktmacht festmachen. Der allseits bekannte SNIPP-Test bietet sich an: „Der Wettbewerb ist nur dann quantitativ erheblich beeinträchtigt, wenn die Wahlmöglichkeiten der Endabnehmer wegen der Wettbewerbsabrede derart beschränkt sind, dass die an der Wettbewerbsabrede Beteiligten ihre Preise um mindestens 10% oder ihre anderen Konditionen in vergleichbarem Ausmass zu Lasten der Endabnehmer verschlechtern können.“
Ein solcher Passus z.B. in der Botschaft ans Parlament (und später in einer Verordnung?) würde klarstellen, worum es eigentlich geht („schlimm ist nur, wenn etwas Schlechtes angezettelt werden kann“). Und es wird auch klargestellt, dass die tatsächlichen Auswirkungen der Abrede massgebend sind, so wie das die Motion fordert (weg von den form-basierten Ansätzen, hin zu den tatsächlichen Auswirkungen). Qualitative Kriterien – was man auch immer darunter verstehen soll – dürfen nie alleine den Ausschlag geben.
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* Im Erläuternden Bericht wird auf Seite 22 gesagt, dass der Wechsel zum neuen Test mit wenigen Veränderungen bezüglich Interventionsrate, Rechtssicherheit und Komplexität einhergehe und die Erfahrungen insgesamt positiv ausfallen würden. Dabei wird auf einen OECD-Bericht von 2009 verwiesen, also auf einen Bericht, den die Behörden im Wesentlichen selbst verfasst haben. Das Urteil des EU-Gerichts im Fall CK Telekom vom 28. Mai 2020, welches die diesbezügliche bisherige Rechtsprechung der EU-Kommission gänzlich in Frage stellt, vergisst der Erläuternde Bericht indes zu erwähnen.