Ex-Präsidenten gegen die Schaffung eines Wettbewerbsgerichts

In seinem Blog-Beitrag vom 21. September bzw. seinem Artikel „Gefährliche Doppelrolle von Wettbewerbsbehörden“ in der NZZ vom 28. Mai 2010 zeigt Daniel Emch mit verfahrensrechtlichen und mehr oder weniger explizit politökonomischen Argumenten auf, weshalb die vom Bundesrat vorgeschlagene Schaffung eines Wettbewerbsgerichts nötig und richtig ist. Dadurch werde die Trennung zwischen Untersuchungs- und Entscheidfunktion sowie eine Entkoppelung zwischen politischem Auftrag und richterlicher Entscheidungsgewalt der Wettbewerbsbehörde herbeigeführt.

In der NZZ vom 16. November 2010 (Fokus der Wirtschaft, S. 31 – leider nicht online verfügbar) melden sich mit Pierre Tercier, Roland von Büren und Walter Stoffel gleich drei professorale Juristen, die in ebendieser Reihenfolge das Weko-Präsidium innehatten, zu Wort. Der Titel ihres Beitrags „Für eine ernsthafte Durchsetzung des Wettbewerbsrecht“ entbehrt übrigens nicht einer gewissen selbstironisierenden Komponente, sofern er tatsächlich von den Autoren und nicht von der NZZ gesetzt wurde. Ihrer Auffassung, dass die Trennung von Untersuchung und Entscheid in der Praxis bereits befolgt werde, jedoch im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit gegen aussen durch organisatorische Massnahmen noch etwas besser sichtbar gemacht werden könne, wogegen mit dem bundesrätlichen Vorschlag weit über das Ziel hinausgeschossen würde, muss aus verschiedenen Gründen widersprochen werden.


Die Trennung von Untersuchung und Entscheid wurde immer weniger befolgt
Prof. Tercier präsidierte 1989 bis 1995 die Kartellkommission, anschliessend bis 1998 die Weko. Prof. von Büren war ab 1996 Vizepräsident und ab 1998 Präsident. Prof. Stoffel  übernahm die Präsidentschaft ab Herbst 2003 bis 2010, nachdem er ab1998 bereits als Vizepräsident geamtet hatte. Ich arbeitete von Anfang 1997 bis Ende 2000 als Vizedirektor und Leiter „Produktemärkte“ unter den Präsidenten Tercier und von Büren sowie unter den Kammerpräsidenten Tercier und Stoffel im Sekretariat. In diesen ersten Jahren des neuen Kartellgesetzes (KG 1995) wurde zwischen dem Weko-Präsidium (Präsidenten und zwei Vizepräsidenten) sowie dem Direktorium des Sekretariats (Direktor und vier Vizedirektoren) zwar zunehmend über die Kompetenzen von Weko und Sekretariat diskutiert, doch wurde die Trennung von Untersuchung und Entscheid im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten vollzogen. Prof. Yvo Hangartner, der im Jahr 2000 im Auftrag des EVD die damaligen Verfügungen der Weko zu begutachten hatte, stellte der Weko und dem Sekretariat in Bezug auf die Umsetzung dieser Möglichkeiten in der Tat ein recht gutes Zeugnis aus (RPW 2000/3, 532 ff.). Folgendes Zitat (a.a.O., 544) zeigt, dass Hangartner in der gesetzlich vorgesehenen Kompetenzzuordnung einen latent problematischen Dualismus (an anderer Stelle spricht er von „Verzahnung“) erkennt, der aber nach seiner Einschätzung damals noch nicht zu akuten Problemen geführt hat:

„Wegen der guten Zusammenarbeit von Weko und  Sekretariat sind die Probleme, die aufgrund des gesetzlichen Dualismus der Wettbewerbsbehörden entstehen können, aber offenbar in engen Schranken gehalten worden.“

Um das Jahr 2000 ergaben sich mehr oder weniger zufällig massive personelle Veränderungen in der Weko und im Sekretariat. Zugleich ruhten die formellen Verfahren weitgehend, indem wesentliche Kräfte der Wettbewerbsbehörden durch Arbeiten zur KG-Revision 2003 mit dem Hauptziel der Einführung direkter Sanktionen gebunden waren. Dabei bildeten sich gewisse Fronten zwischen mehr und weniger interventionsgeneigten Behördenmitgliedern, die nicht etwa zwischen Weko und Sekretariat, sodern eher quer durch Weko und Sekretariat verliefen. Dadurch hat sich der Dualismus oder die „Verzahnung“ der Wettbewerbsbehörden vertieft, bzw. ist die Trennung von Untersuchung und Entscheid bedeutend unschärfer geworden. Diese Trenn-Unschärfe wurde zusätzlich dadurch gefördert, dass im Minenfeld der naturgemäss kompetitiv ambivalenten Vertikalen Restriktionen eine enorme Zahl von Verfahren informell statt durch ordentliche Verfahren erledigt wurden. Informelle Lösungen bringen es mit sich, dass Verhaltensweisen oder Massnahmen mit Entscheidcharakter mit solchen mit Instruktionscharakter gewissermassen „zusammenfallen“. An solchen Verfahren waren deshalb in der Regel gleichzeitig Mitglieder der Weko – namentlich der Präsident und die Vizepräsidenten – sowie Mitglieder des Direktoriums und Sachbearbeiter des Sekretariats beteiligt. Es versteht sich von selbst, dass ein Sachbearbeiter und sein Chef des Sekretariats Mühe haben dürften, eigenständige Anträge aus einem Instruktionsverfahren abzuleiten, an welchem auch schon wichtige Exponenten der Entscheidbehörde beteiligt waren. Von einem Sekretariat in der Rolle des engagierten Staatsanwalts, der gut motivierte Entscheidanträge an ein unbefangenes Gericht stellt, kann unter solchen Umständen offensichtlich nicht mehr die Rede sein.

Nur nebenbei sei erwähnt, dass mit dieser „Verzahnung“ eine Abwertung der Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter einher geht. Dies sehe ich als Grund dafür, dass das Sekretariat mit zunehmender Hierarchiebildung versuchte, das gute Personal bei der Stange zu halten. War vor dem Jahr 2000 die flache Hierarchie mit Fachkarrieren und Leistungslohn das organisatorische Leitbild des Sekretariats, folgten nach den erwähnten Kompetenzverzahnungen hierarchische Leitern mit Fachreferenten, Hauptreferenten und entsprechenden Stellvertreterposten. In Anwaltskanzleien und Beratungsunternehmen, die durchaus ähnliche Aufgaben zu erfüllen haben wie das Sekretariat, jedoch einem harten Wettbewerbs- und Effizienzdruck ausgesetzt sind, sind keine solchen hierarchischen Zuspitzungen erkennbar. Daraus lässt sich folgern, dass zunehmende Trenn-Unschärfe zwischen Untersuchung und Entscheid negative Konsequenzen für die Effizienz mit sich bringt.

Es wird schon zur Genüge diskutiert, dass eine möglichst klipp und klare Trennung zwischen Untersuchung/Antrag und Entscheid gerade im Hinblick auf Sanktionen und hohe Bussen von entscheidender Bedeutung ist (vgl. wiederum den bereits erwähnten Beitrag von Emch). Vor dem Hintergrund dieser Diskussion erscheint es schon fast als tragikomisch, dass ausgerechnet im Vorfeld der Einführung der direkten Sanktionen diese Trennung immer weniger scharf geworden ist. Und unter den geschilderten Umständen ist schwer verständlich, dass sich die drei Weko-Ex-Präsidenten, die an dieser Entwicklung sehr unterschiedlich beteiligt waren, sich nunmehr  unisono gegen die klare Kursänderung des Bundesrates wenden. Die Aktion wird sogar absolut unverständlich, wenn man bedenkt, dass diese Analyse hier durchaus mit den Ergebnissen der Evaluationsarbeitsgruppe Verfahrensrecht und EMRK (Projektbericht P 10/11) übereinstimmt. Und Letztere haben den Bundesrat schliesslich veranlasst, der Reorganisation von Untersuchung und Entscheid nicht nur höchste Priorität, sondern auch eine einschneidende Lösung zu widmen (vgl. Evaluationsbericht des Bundesrats).

Nachtrag:
Die Ex-Präsidenten sind ebenso unisono der Auffassung, dass der bundesrätliche Vorschlag auch wegen einer Reihe von weiteren Aufgaben der Weko übers Ziel hinaus schiesse: Sie kann Empfehlungen zur Förderung des wirksamen Wettbewerbs und Gutachten zu Wettbewerbsfragen an Behörden sowie Stellungnahmen zu wirtschaftsrechtlichen Erlassen abgeben. Zudem hat sie die wettbewerbsgesetzlichen Rahmenbedingungen in der Öffentlichkeit zu vertreten. Ich bin aus vorwiegend politisch-ökonomischen Erwägungen der Auffassung, dass gerade diese sui generis politischen Aufgaben keinesfalls von einer Behörde wahrgenommen werden dürfen, die letztlich dann die Gesetze und Vorgaben interpretieren und verfügen muss. Ich werde dieser Frage eventuell einen weiteren Beitrag widmen.


Kommentare

Eine Antwort zu „Ex-Präsidenten gegen die Schaffung eines Wettbewerbsgerichts”.

  1. Avatar von Adrian Raass

    Erfreulich ist doch, dass auch die ehemaligen Weko-Präsidenten für eine bessere Trennung von Untersuchungs- und Entscheidbehörde eintreten.Gleichzeitig versichern sie indes, diese Trennung sei bereits erfolgt. Hier liegt wohl die Krux: Man muss sich heute auf "Versicherungen" der Behörde verlassen. Obwohl den ehemaligen und dem aktuellen Amtsinhaber sicherlich Vertrauen entgegen gebracht werden darf – wie Markus Saurer beschreibt, war ihre Leitung der Weko und ihres Sekretariats aber durchaus unterschiedlich -, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Amt einmal mit einem weniger fähigen Präsidenten (oder Präsidentin) besetzt werden könnte. Tritt ein solcher Fall ein, muss sichergestellt sein, dass die Institutionen nach wie vor korrekt funktionieren. Die Trennung von Untersuchungs- und Entscheidbehörde muss deshalb im Gesetz angelegt sein. Und sie muss strikte sein.

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