Höchst fragwürdige Strafen gegen Zementfirmen

Nach acht Jahren Ermittlungen verfügt die brasilianische Kartellbehörde, sechs Zementhersteller, darunter die Schweizer Holcim, hätten sich 20 Jahre lang abgesprochen, um Konkurrenten vom Markt zu drängen. Die beteiligten Firmen müssen zusammen 3,1 Milliarden Real (1,2 Milliarden Franken) Bussen zahlen. Sie müssen zudem ihr Geschäft auf grossen Märkten verkleinern und gegenseitige Beteiligungen abstossen (vgl. Milliardenstrafe gegen Holcim und andere Zementfirmen – tagesanzeiger.ch).

Ein mit dem Fall betrauter Anwalt sagte der Nachrichtenagentur Reuters, derart hohe Strafen und ein erzwungener Verkauf von Firmenteilen habe es in vergleichbaren Fällen weltweit noch nie gegeben. Die Branche vertritt zudem den Standpunkt, dass die Kartellbehörde nicht befugt ist, den Unternehmen eine Schrumpfung ihres Geschäfts aufzuerlegen.

In der Tat stellen sich in diesem Fall äusserst kritische Fragen:

  • Wie ist es möglich, dass sechs Unternehmen, die zusammen auf einen Anteil von rund drei Viertel des Marktes kommen, mittels Abreden während nicht weniger als zwei Dekaden Konkurrenten wirksam aus dem Markt verdrängen? Dazu müssten sie ja über diese lange Zeit ihren Zement zu „Kampfpreisen“ unter den Gestehungskosten umgesetzt oder den Konkurrenten den Zugang zu  den Beschaffungs- oder Absatzmärkten abgeschnitten haben.
  • Wie ist es ggf. möglich, dass sich einige Kartellaussenseiter einen Marktanteil von einem Viertel bewahren konnten?
  • Wie ist es möglich, dass dieses angebliche Kartell so lange nicht aufgedeckt wurde? Bei Verdrängungstatbeständen „heulen“ doch die angeblich verdrängten Unternehmen immer sofort auf und reichen Klagen ein.
  • Wie ist es möglich, dass die Ermittlungen (noch ohne Rekursverfahren) gegen eine relativ einfache horizontale Abrede acht Jahre in Anspruch nehmen können?

Und zur getroffenen Sanktion:

  • Man stelle sich den gigantischen brasilianischen Markt, die extrem lange Abrededauer und die Schwere des angeblichen Vergehens vor: Wie ist es möglich, dass hier eine relativ winzige Busse verhängt wird, die sich pro Abredejahr gerade mal auf 60 Mio. Franken beläuft? Betreffend diesen Punkt scheint sich der zitierte Anwalt zu irren.
  • Höchst bedenklich sind schliesslich die strukturellen Gebote der Sanktion.

IchShakedown: How Corporations, Government, and Trial Lawyers Abuse the Judicial Process befürchte, dass hier nicht eine unzulässige Abrede, sondern ein Missbrauch des Wettbewerbsrechts zur staatlichen Bereicherung und zum Vorteil von weniger effizienten Konkurrenten vorliegt. (Vgl. Robert Levy, Shakedown: How Corporations, Government, and Trial Lawyers Abuse the Judicial Process. (Klick auf Buchdeckel für die Referenz.)

Vgl. zu dieser Thematik auch P. Hettich, Blog regulierung.ch: „Regulatory Inflation“und der schwindende Strafcharakter von Geldbussen

 


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