Missratene Kartellgesetzdebatte im Ständerat

Missratene Kartellgesetzdebatte im Ständerat
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Vorbemerkungen

Dieser Kommentar beschränkt sich auf die sehr wichtige Behandlung von angeblich «harten» Abreden (Art. 5 KG) und angeblich missbräuchlichen Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen (Art. 7 KG) im Ständerat (Sommersession 2024). In der Debatte haben sich die Ständeräte Germann (SVP) und Bischof (Mitte) auffällig intensiv eingebracht. Ihre Voten machen fast die Hälfte des Protokolls aus (Amtliches Bulletin).

Inhaltlich ist gegen die Tiraden von Germann und Bischof einiges einzuwenden, was wir in der Beilage tun wollen.

Problematik und bisherige Vorschläge

In den letzten Jahren sind die WEKO, das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesgericht im KG-Vollzug dazu übergegangen, gewisse horizontale und vertikale Abreden sowie auch gewisse Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen ohne Prüfung ihrer effektiven Schädlichkeit zu verbieten und zu büssen. Diese Einführung von faktischen per se-Verboten im Rahmen unserer Missbrauchsgesetzgebung per Richterrecht ist nach Auffassung der meisten Experten gesetzeswidrig und desavouiert das Parlament, welches sich in der Tat mehrmals explizit gegen die Einführung von Teilverboten ausgesprochen hat.

Das grösste Problem liegt aber nicht in dieser Kompetenzanmassung der Richter, sondern darin, dass dieser rein formalistische Vollzug der grundsätzlich ambivalenten Wettbewerbswirkung von Abreden und Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen nicht Rechnung trägt. Obwohl die Wettbewerbsökonomen ständig darauf hinweisen, dass es entscheidend auf die tatsächlichen Markt- und Fallumstände ankommt, ob Wettbewerbshandlungen eines oder mehrerer Konkurrenten dem Wettbewerb schaden oder nützen (!), gehen die Behörden in ihrem «neuen Formalismus» stets von Schädlichkeit aus. Und diese wird nicht weiter überprüft, sondern vorausgesetzt oder behauptet.

Mit dieser Wissensanmassung sind viele ungerechtfertigte Verbote und Bussen vorprogrammiert. Und die Marktteilnehmer müssen sich im Rahmen ihrer KG-Compliance den willkürlich und «übergriffig» vorgehenden Behörden anpassen oder werden von diesen dazu genötigt! Auf diese Weise vervielfältigt sich der Schaden dieser fehlerträchtigen Wettbewerbspolitik auf die gesamte Wirtschaft – zu Lasten des Wettbewerbs und der Endkunden.

Das Parlament hat dieses Problem zunächst erkannt und mit den Motionen Français und Wicki dem Bundesrat den Auftrag erteilt, die fallbezogene Schadensprüfung im Rahmen der KG-Teilrevision zwingend ins Gesetz zu schreiben.

Die zuständige Kommission des Ständerats (WAK-S) hat in der Folge zwei Anträge (bei Art. 5 für Abreden sowie analog bei Art. 7 für Marktmachtmissbräuche) gestellt, die den Behörden die Darlegung der Schädlichkeit von fraglichen Abreden oder fraglichen Verhaltensweisen markbeherrschender Unternehmen im konkreten Fall vorgeschrieben hätten. Die Sache schien also in Ordnung zu kommen.

Doch der Ständerat lehnte zunächst den Antrag der WAK-S in Bezug auf die Abreden ab. Nur bei den Preisabreden sah er – sich in gewisser Wiese selbst widersprechend – eine gewisse Gefahr der Überintervention und engte deshalb den Geltungsbereich im Sinne eines bekannten, eher bizarren Vorschlags von Prof. Zäch, propagiert durch SR Germann, etwas ein. Bei den Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen hiess der Rat sodann einen sinngemäss gleichen Antrag (von SR Rieder) erst gut, um diesen zum Schluss aber in einem ebenso unüblichen wie fragwürdigen Rückkommensantrag – natürlich auch von Germann – doch noch abzulehnen.

Der Ständerat übergibt damit dem Nationalrat nicht einen Vorschlag zur Umsetzung der Motionen Français und Wicki, wie es seine Aufgabe gewesen wäre, sondern gerade im Gegenteil einen Vorschlag zur gesetzlichen Zementierung des fehlerträchtigen formalistischen Vollzugs gemäss dem aktuellen «Richterrecht», ergänzt mit einem dazu widersprüchlichen Zusatz für gewisse Preisabreden (deren und nur deren Schädlichkeitsbeurteilung soll dann doch noch von den konkreten Fallumständen abhängig gemacht werden).  In rechtlicher und erst recht in wettbewerbsökonomischer Hinsicht ein Supergau in der Legiferierung!

Auf dem Weg zur dümmsten Wettbewerbsgesetzgebung?

Sollte der Nationalrat diesem Entscheid des Erstrats folgen, dann werden wir in der Schweiz die wohl dümmste Wettbewerbsgesetzgebung in der westlichen Hemisphäre haben: Eine «Missbrauchsgesetzgebung», in der die meisten Kooperationen und Verhaltensweisen aus rein formalistischen Erwägungen und fiktiven Schädlichkeiten – unbesehen ihrer effektiven Wettbewerbswirkungen (!) – verboten sind.

Materiell ändert sich nichts

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Die Gegner der Motionen Français und Wicki haben behauptet und behaupten weiter, mit der Umsetzung dieser Vollzugskorrektur würde das KG (materiell) geschwächt, Abreden wie die harten Baukartelle in Graubünden könnten dann von der WEKO nicht mehr angegangen werden. Selbst die neue WEKO-Präsidentin Laura Melusine Baudenbacher liess und lässt sich in den Medien ständig in diesem Sinne vernehmen. Es handelt sich dabei aber um eine Falschbehauptung, denn das zentrale Interventionskriterium, die erhebliche Schädlichkeit, wird von einer strikten Umsetzung der Motionen schlicht nicht tangiert.

Vielmehr liegt der Unterschied darin, dass mit den Anträgen gemäss WAK-S (Mehrheit) diese Erheblichkeit bzw. Schädlichkeit von den Behörden nicht mehr einfach generell behauptet werden darf, sondern für den konkreten Einzelfall dargelegt werden muss. Im Fall der sowieso offensichtlich besonders schädlichen horizontalen Baukartelle des «Typs Graubünden» dürfte die Darlegung ihrer Schädlichkeit eine ökonomische Trivialität sein, die kaum Zeit in Anspruch nimmt.

Die Darlegung der Schädlichkeit ist nicht in klaren Fällen schwierig, sondern in unklaren. Aber genau Letztere sind es eben, die eingehender, unter Berücksichtigung der konkreten tatsächlichen Umstände, studiert werden müssen. Nur so können ungerechtfertigte Verbote und Bussen sowie volkswirtschaftlich schädliche Präjudizien vermieden werden.

Der Nationalrat muss es richten

Der Nationalrat hat es noch in der Hand, den erwähnten Supergau in der schweizerischen Wettbewerbspolitik abzuwenden. Seine vorberatende Kommission, die WAK-N, hat bereits in einer Sitzung die Vorschläge des Ständerats beraten, Experten angehört und Zusatzabklärungen vornehmen lassen. Das ist lobenswert und lässt hoffen. Dem Vernehmen nach wurden aber mehrheitlich Experten aus dem Umfeld des Bundes und der WEKO angehört, die sich für die Vorschläge des Ständerats eingesetzt haben dürften. Aus diesem Grund ist die WAK-N aufzufordern, endlich auch den Kritikern dieser Vorschläge zuzuhören. Wenn die WAK-N die ständerätlichen Entscheide stützt, dann muss die Sache wohl als verloren betrachtet werden. Ich hoffe aber weiter.


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2 Antworten zu „Missratene Kartellgesetzdebatte im Ständerat”.

  1. […] Zusammen mit dem Gaba-Urteil (143 II 297; vgl. dazu Daniel Emch in diesem Blog: Das Konzept der grundsätzlichen Erheblichkeit gemäss Gaba-Urteil des Bundesgerichts) ist Six/DCC ein wichtiger Gegenstand der laufenden KG-Teilrevision. Mit Gaba für „harte“ Abreden und mit Six für die Marktmachtmissbrauchskontrolle haben die Wettbewerbsbehörden eine formalistische Praxis eingeschlagen, die von den konkreten Umständen der fraglichen Tatbestände fast vollständig abstrahiert und deren Erheblichkeit und Schädlichkeit im Regelfall behauptet statt plausibel darlegt oder gar nachweist. Ökonomisch ist klar, dass diese Praxis zu vielen Fehlurteilen und zu entsprechenden volkswirtschaftlichen und sozialen Schäden führt. Das Parlament wollte dieser schädlichen Praxis mit Ergänzungen im Kartellgesetz einen Riegel schieben, doch ist dieses Ansinnen im Ständerat – meines Erachtens aufgrund einer sehr fragwürdigen Einflussnahme des SECO und v.a. der WEKO-Präsidentin – vorerst gescheitert (vgl. meinen Beitrag in diesem Blog: Missratene Kartellgesetzdebatte im Ständerat). […]

  2. […] dieser auf seinen Fehlentscheid als Erstrat zurückkommen kann (vgl. Missratene Kartellgesetzdebatte […]

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