Mit 141 zu 41 Stimmen hat der Nationalrat am 28. Februar 2024 die Motion von Niklaus-Samuel Gugger (EVP/ZH) zum „Schutz vor der einseitigen Einführung des Agenturmodells im KFZ-Mark“ (Motionstitel) angenommen. 28 Mitglieder aller Nationalratsfraktionen hatten den Vorstoss mitunterzeichnet (was noch fast frustrierender ist als die gesamthaft hohe Zustimmung).
„Survival of the smallest„
So lautete der sarkastische, aber leider zutreffende Betreff des Mails eines genervten Ökonomen, der mir den den Link zur SDA-Medienmitteilung „Mehr Schutz für Garagen vor Kündigung von Werkstattverträgen“ zu diesem – mit Verlaub – unerhört dummen Entscheid zustellte. Er hätte auch „Survival of the unfit“ oder „Suvival of the inefficient“ schreiben können.
Worum geht es?
Die Motion fordert, dass Händler- und Werkstattverträge mit Garagen nicht gekündigt werden dürfen, wenn Hersteller oder Importeure nicht nachweisen können, dass das neue Vetriebsmodell signifikant effizienter ist.
Weiter verlangt die Motion, dass nach der Einführung des Agenturmodells oder Direktvertriebs sich sowohl Autohersteller und -importeure als auch Garagen in der Schweiz ans Kartellgesetz halten müssen.
Schwacher Bundesrat
Der Bundesrat war gegen die Motion. Müsse ein bestehendes Vertriebssystem beibehalten werden, sei das ein weitreichender Kontrahierungszwang, macht er geltend und verweist auf die Wirtschafts- und Vertragsfreiheit. Nach seinen Worten ist das Kartellgesetz auf alle Vertriebsmodelle anwendbar, auch auf Agenturmodelle und den Direktvertrieb. Die Begründung der ablehnenden Haltung des Bundesrats kann auf der Curia Vista Seite der Motion nachgelesen werden. Sie ist zwar richtig, aber viel zu technokratisch formuliert und viel zu wenig engagiert.
Wie kann der Bundesrat (*) bei einer derart offensichtlich innovationshemmenden Regulierung, die dem Schutz schwächerer, ineffizienter oder gar obsolet gewordener Marktakteure statt dem Schutz des Wettbewerbs dient, schreiben, er sehe „keinen Handlungsbedarf“? Es hätte nicht nur keinen Handlungsbedarf gegeben, sondern ein Handlungsverbot geben müssen. Ein solches hätte der Bundesrat aus Verfassung und Gesetz herleiten können. Das Kartellgesetz darf nicht mit sektoriellen Sonderbehandlungen verunstaltet und zum Schutz einzelner Gruppen zweckentfremdet werden!
Was will der Nationalrat jetzt machen, wenn noch aus anderen Wirtschaftssektoren Motionen der Gugger-Art kommen, weil im Zuge der technologischen und institutionellen Entwicklung disruptive Marktreaktionen die kompetitiv-logische Folgen sind? Wer potenzielle Verlierer davor mit Gugger-Interventionen bewahren will, schützt nicht den Wettbewerb, sondern behindert ihn. Zu Lasten der Endkunden.
Inexistente oder ahnungslose Presse und abwesende Wissenschaft
Man kann nur hoffen, dass der Ständerat diese Probleme sieht und Gugger eine Absage erteilt (eine Motion muss von beiden Räten angenommen werden, sonst ist sie abgelehnt). Aber wer führt die Ständeräte auf den Pfad der Vernunft? Soweit ich mir einen Überblick verschaffen konnte, wird die Motion Gugger in keiner einzigen Zeitung und auch in keinem anderen Medium kritisch diskutiert. Auch melden sich – anders als etwa in den USA, wo in einem solchen Fall eine grosse Antitrust Community laut aufheulen würde – praktisch keine Wettbewerbsjuristen oder -ökonomen zu Wort.
Wir haben in der Schweiz fast keine kritische Presse und gar keine kritische Wissenschaft in der Wettbewerbspolitik. Das wird sich bei der Presse ändern, wenn die Schäden grösser und merklicher werden. Von der einheimischen Wissenschaft ist wenig bis nichts zu erwarten. Zum Glück kann man das Wissen aber auch importieren.
(*) Natürlich sind es das Seco und die Weko, die diese Begründung im Namen des Bundesrats geschrieben haben. In dieser komplexen Materie ist der Bundesrat ebenso überfordert wie – offensichtlich! – auch das Parlament.
