Skandalös – in der Schweiz drohe wieder dreiste Kartellabzocke,
… schreibt am 19. Dezember 2025 – am Tag der Schlussabstimmung im Parlament zur Kartellgesetz-Teilrevision – morgens um 0 Uhr 25 der Blick-Redaktor Joschka Schaffner. Das Schweizer Parlament plane eine Lockerung des Kartellgesetzes und ehemalige Wettbewerbshüter warnten vor einem «Rabatt-Trick», der Preisabsprachen wieder Tür und Tor öffnen könnte, so Schaffner, der über einen ETH-Master in Lebensmittelwissenschaften verfügt, bisher als kulinarischer Berater tätig war und sich in seiner Freizeit Tech-Gadgets und der Suche nach der perfekten Kaffee-Braumethode widmet, wenn er nicht gerade mit dem Velo durch Europa tourt.
Falls Sie, liebe Blogleser, den „Blick“ nicht regelmässig auf wettbewerbspolitische Fragen durchsurfen, finden Sie den Skandalisierartikel von Schaffner hier.
Das Parlament liess sich davon nicht beeindrucken und hat sich in der Schlussabstimmung für die Teilrevision des Kartellgesetzes ausgesprochen. Lesen Sie in einem Newsletter zur Teilrevision, welches die wichtigsten Neuerungen sind und wie diese zu beurteilen sind. Dieser Newsletter stammt vom renommierten kartell- und wettbewerbsrechtlichen Team von Kellerhals Carrard, aber gleiche oder zumindest sehr ähnliche (positive) Beurteilungen finden Sie noch in weiteren sehr bekannten Anwaltskanzleien (z.B. Homburger, Schellenberg Wittmer, Bär & Karrer).
Und was ist nun mit den ehemaligen Wettbewerbshütern?
«Mit den Änderungen im Kartellgesetz steht die Tür sperrangelweit offen, um Sanktionen zu umgehen», sagt Ex-Weko-Präsident Heinemann. Zukünftig könnten Kartelle in der Schweiz nämlich mit der Behauptung davonkommen, dass bloss sogenannte Bruttopreise abgesprochen wurden, so Heinemann. Den Kartellmitgliedern steht es in einem solchen Fall frei, Rabatte auf die abgesprochenen Preise zu gewähren. Damit würde es sich nicht mehr um Absprachen von Mindest- oder Festpreisen handeln.
[Nur nebenbei: Wenn Bruttopreislisten existieren, hingegen in der Branche erhebliche Rabatte gewährt werden, dann liegt überhaupt keine Preisabrede vor – ergo gibt es auch nichts zu sanktionieren. Und wenn Bruttopreislisten grösstenteils eingehalten werden, dann stellen sie eben eine unzulässige und sanktionierbare Preisabrede dar – mit der lächerlichen Schutzbehauptung à la Heinemann ist dann sicher nichts.]
«Es ist potenziell verheerend – ein Monstrum von Unklarheit», sagt Ex-Weko-Präsident Stoffel, zumal es nicht die einzige empfindliche Anpassung sei, die unter dem grossen Druck der Wirtschaftsverbände in das Gesetz zu rutschen drohe. Gleichzeitig wolle das Parlament, dass die Wettbewerbshüter zukünftig in jedem Fall nachweisen sollen, dass durch die Preisabsprachen ein messbarer wirtschaftlicher Schaden resultierte. «Diese Kombination ist toxisch», so Stoffel. «Sie wird zu längeren und teuren Verfahren führen. Rechtsunsicherheit bis 2040 ist garantiert.»
[Wieder nur nebenbei: Wenn es hier ein Monstrum von Unklarheit gibt, dann liegt dieses in Stoffels Aussagen. Die Behörden müssen nämlich gemäss der Revision nur plausibel darlegen, dass eine fragliche Verhaltensweise (z.B. eben eine Preisabrede) unter den konkreten Umständen des Einzelfalls schädlich ist. Eine Messung des Schadens ist nicht vorgesehen.]
Doch der Initiator der eigentlichen Realsatire ist ein Ex-Weko-Vizepräsident
Für Realsatire reichen Heinemann und Stoffel noch nicht aus – auch wenn ihre Zitate teilweise die Grenze zum Bullshit ritzen (bitte testen Sie selber im Blablameter). Der eigentliche Witz liegt in der Änderung von Art. 5 Abs. 3 lit. a des revidierten Kartellgesetzes, die quasi als Trick von Ex-Weko-Vizepräsident Zäch (über einen Verband) in die Revision eingeschleust wurde und zum Schluss sozusagen vergessen ging.
[Art. 5 Abs. 3: Die Beseitigung wirksamen Wettbewerbs wird bei folgenden Abreden vermutet, sofern sie zwischen Unternehmen getroffen werden, die tatsächlich oder der Möglichkeit nach miteinander im Wettbewerb stehen:]
- (lit. a alt:) Abreden über die direkte oder indirekte Festsetzung von Preisen;
- (lit. neu:) Abreden über die direkte oder indirekte Festsetzung von Mindest-, Fest- oder nachfrageseitigen Höchstpreisen;
Zäch wollte mit dieser Einschränkung die GABA/Elmex-Praxis retten, mit der auch Preisabreden, die überhaupt nicht befolgt wurden, ohne Weiteres verboten und gebüsst werden konnten (Badezimmerfall). Wenn aber, wie nun vom Parlament in Art. 5 Abs 1 bis beschlossen, die Erheblichkeit der Wettbewerbsbeeinträchtigung wieder einzelfallweise in einer Gesamtbeurteilung anhand qualitativer Elemente in Form von Erfahrungswerten und quantitativer Elemente in Form von den konkreten Umständen auf dem relevanten Markt zu prüfen ist, dann wäre die alte Formulierung betreffend Preisabreden besser. Die Untersuchung muss zeigen, ob Bruttopreislisten im konkreten Fall ein Schädlichkeitspotenzial aufweisen oder eben nicht.
Item. Zum Glück für die Kartellgesetz-Teilrevision und für die Zukunft der schweizerischen Wettbewerbspolitik liess sich die Mehrheit des Parlaments von den alten Präsidenten und Vizepräsidenten (wie auch von der neuen Präsidentin) nicht beirren (an sich logisch, ging es ja eigentlich gerade darum, deren Vollzugsfehler zu korrigieren ;-))
